2023-11-04, 15:00–16:30 (Europe/Berlin), Aula (3. OG)
Kollektive Performance Lecture mit Studierenden, Alumni und Mitarbeiter:innen des Labors [ ] ground zero der Experimentellen Informatik an der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM)
Aufzeichnung unter https://media.ccc.de/v/fiffkon23-47-aesthetic-approaches-to-cyber-peace-work
deutsch:
Die Bedeutung der Begriffe "ist die Art, wie ihr Gebrauch in das Leben eingreift", so Ludwig Wittgenstein in seiner philosophischen Grammatik. Im Miteinander. Dort wo der Gemeinsinn herrscht. Wo es Sinn macht: Sense-making.
Viele der Begriffe, die es in den derzeit geführten Debatten um Cyberkrieg adäquat einzuordnen gilt, kommen aus einer fast schon in Vergessenheit geratenen Metadisziplin: dem Cyber-, sprich der Kybernetik. Die Bedeutung kybernetischer Modellifizierungen von Welt, griffen in den letzten knapp einhundert Jahren massiv in unser Leben ein, und zwar indem Maße in dem wir die aus ihnen hervorgegangenen technischen Systeme in unserem Lebensalltag gebrauchen: das "Lernen", "Intelligenz", "Autonomie", "Kontrolle". Im Krieg und im Zivilen. Begriffe, die an die Grenzen rationalen Denkvermögens stoßen, wenn Logiken des Krieges in diese Systeme als sozio-technische Handlungsräume eingeschrieben werden und aus diesen heraus zu mehr als nur Träger von Zeichen mutieren, in denen Prozesse und Funktionen ablaufen. Sie werden aktive Erzeuger. Erzeuger des „Un-Sinns“, der "psychotischen Kriegswirklichkeit", die als Sinneinheit, laut der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz nur Entfremdung bedeuten kann.
Mögliche ästhetische Ansätze zur Friedensarbeit im Cyberraum fokussieren dementgegen auf die Rückeroberung der Deutungshoheit als Zivilgesellschaft über die Interpretation der Zeichen. Auf den Erhalt der Performativa im Umgang mit gesellschaftlichen und kulturellen Konsequenzen des Cyberkriegs. Denn "Verstehen" setzt diese voraus. Die Performativa. Um in Hannah Arendts Worten zu sprechen: die Existenz der Pluralität unter Menschen. Aber auch Verständnis. Denn das "Ergebnis des Verstehens ist Sinn", so Arendt weiter. Es kann der Zweck des Verstehens nur die Erzeugung von Sinn sein: Gemeinsinn.
So setzt der kollektive Vortrag "Aesthetic approaches to cyber peace work“ von den Studierenden, Alumni und Mitarbeiter*innen des Labors [ ] ground zero der Experimentellen Informatik an der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) auf die Performativa. Auf den Erhalt einer adäquaten Verhältnismäßigkeit zwischen Denken, Erfahren, Sprechen und unserem gemeinschaftlichen Handeln im Hier und Jetzt. Im Versuch, eine eigene Weise des Denkens zu fördern. Ein mögliches Denken in 90 Minuten. Gemeinsam hin zu ästhetischen Erkenntnissen zu gelangen. Im Erzählen. Während sich mindestens zwei Erfahrungen begegnen werden. Die der/s Erzähler:in und die der/s Zuhörer:in. Ästhetische Erfahrungen, die uns hin zu nicht-messbaren, zu nicht-quantifizierbaren Erkenntnissen führen können. Als eine Art Gegenüberstellung zur Meso-Welt.
Einfach weil Leben sich nicht messen lässt.
english:
The meaning of words "is the way in which their use intervenes in life," according to Ludwig Wittgenstein in his Philosophical Grammar. In community. Where common sense prevails. Where it makes sense: sense-making.
Many of the terms that need to be adequately framed in the current debates about cyberwar come from a metadiscipline that has almost fallen into oblivion: cybernetics. The importance of cybernetic modeling of the world has massively intervened in our lives in the last hundred years, to the same extent that we use the technical systems that have emerged from it in our everyday lives: "learning", "intelligence", "autonomy", "control". In war and in civil life. Concepts that reach the limits of rational thinking when logics of war are embedded in these systems as socio-technical spaces of action and mutate out of them into more than just carriers of signs in which processes and functions take place. They become active producers. Producers of the "un-sense", of the "psychotic reality of war", which as a sense-unit, according to the writer Marlene Streeruwitz, can only mean alienation.
Possible aesthetic approaches to peace work in cyberspace, on the other hand, focus on the reconquest of interpretive sovereignty as a civil society over the interpretation of signs. On the preservation of performativa in dealing with social and cultural consequences of cyberwar. Because "understanding" presupposes them. The Performativa. To speak in Hannah Arendt's words: the existence of plurality among people. But also "understanding". Because the "result of understanding is sense," Arendt continues. It can only be the purpose of understanding to produce sense: Common Sense.
Thus, the collective lecture "Aesthetic approaches to cyber peace work" by the students, alumni and staff of the laboratory [ ] ground zero of Experimental Informatics at the Academy of Media Arts Cologne (KHM) focuses on performativa.
On the preservation of an adequate proportionality between thinking, experiencing, speaking and our communal acting in the here and now. In an attempt to promote an own way of thinking. A possible thinking in 90 minutes. Moving together towards aesthetic knowledge. In storytelling. While at least two experiences will meet. That of the storyteller and that of the audience. Aesthetic experiences that can lead us to non-measurable, non-quantifiable knowledge. As a kind of juxtaposition to the meso-world.
Simply because life cannot be measured.
about [ ] ground zero @ khm:
[ ] ground zero ist die Forschungsplattform der Experimentellen Informatik an der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM).
Der Term "ground zero", der seinen Ursprung in der militärischen Sprache hat, verortet ein bekanntes Problem der Informatik, das "Symbol grounding problem" innerhalb der KHM in eine Zone, in der sich (in Anlehung an die Düsseldorfer Künstlergruppe ZERO) ein alter Zustand in einen unbekannten neuen verwandelt.
Ausgangspunkt der Forschung in [ ] ground zero ist die Überzeugung, dass die Menschheit zwar zunehmend von Technologie und ihrem reibungslosen Funktionieren abhängig ist, sie aber gleichzeitig „geistig nicht unter Kontrolle“ hat. Ein anderes Verständnis, neue experimentell-ästhetische Ansätze und nicht zuletzt neue Sprachspiele sind notwendig, u.a. um den unzureichenden Dualismus von Technikeuphorie und Kulturpessimismus aufzulösen, der immer noch den Diskurs dominiert.
Christian Heck ist künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter für Ästhetik & neue Technologien / Experimentelle Informatik und Doktorand an der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM). Er forscht und arbeitet in [ ] ground zero @ KHM zu Ästhetischer Praxis, Ethik der Künstlichen Intelligenz und Friedensforschung mit Fokus auf Generative Systeme, ADM, IT-Sicherheitstechnologien, Kampfdrohnen und autonome Waffensysteme.
Er ist Mitglied im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V. und der Gesellschaft für Informatik (GI).
Benita Martis studiert an der Kunsthochschule für Medien Köln (postgradual) mit einem abgeschlossenen Studium in Kommunikationsdesign (Schwerpunkt Interaktive Medien). Ihre künstlerische Arbeit konzentriert sich auf die Erkundung der politischen Gefahren von künstlicher Intelligenz in sozialen Netzwerken, insbesondere im Kontext des Informationskrieges.
Als selbsternannter Mikromobilitätsparasit testet Anton Linus Jehle seit der Einführung von E-Scooter-Diensten im Jahr 2019 deren Grenzen aus. Mit Experimenten, Interventionen und Installationen durchbricht er erzwungene Perspektiven, um neue Ansätze für die gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit zu finden. In den letzten Jahren wurden seine Arbeiten u.a. im Körber Forum in Hamburg, im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart, beim Linz FMR23 Festival und bei der rc3 Remote Chaos Experience des Chaos Computer Clubs präsentiert.
https://www.antonlinus.art
Lisa Reutelsterz ist Medienkünstlerin und Designerin, die an den Schnittstellen von Videokunst, experimenteller Informatik und Performance forscht und agiert. Ihr Ziel ist es dabei, neue Ästhetiken und Themenfelder zu erschließen und zu erweitern, die ihre Umsetzung beispielsweise in theatralen Prozessen oder audiovisuellen Rauminstallationen finden. Inhaltlich setzt sie sich vor allem mit den Fragen der Maschinenethik und Technikphilosophie auseinander, insbesondere im Hinblick auf künstliche Intelligenz, Machine Learning und Affective Computing.
Naoto Hieda is an artist from Japan living in Germany with a background in engineering (B.Eng. at Tokyo Institute of Technology, Japan and M.Eng. at McGill University, Canada). Naoto is currently graduating from the Academy of Media Arts in Cologne, Germany and works internationally for theater productions and in the visual arts. In their artistic work, they question the productive qualities of coding and speculate on new forms, post-coding through neuroqueerness, decolonization and live coding.
Bidisha Das is a new media artist with an immense interest in sound. Her artworks are shaped by a constant DIY approach which reflects her profound interest in the intersection between art, natural-science & electronics. Recurring themes of her works include art-science communication, planetary co-existence, inter relationship with the non-human life and exploring rhizomatic thinking. Bidisha grew up in Calcutta, India and is currently studying Masters at KHM in Cologne taking her practice forward.
Kjell Wistoff is an investigative artist & integrated designer with a focus on interaction. Especially contemporary technologies in a socio-political context stake out his fields of interest. Resorting to a grassroot activist approach, he is working with – and against – these technologies.
Conrad Weise is a Cologne/Cluj based designer and researcher. In his work he looks at socio-political settings where he locates computation and its implications. Through investigative and computational approaches from within these systems, his works attempt to contextualise the intransparent and uncertain arrangements. His current research focuses in particular on the hidden labour and automated engagement within computational systems.
www.cnrd.computer
@cnrd@post.lurk.org
Pedro A. Ramírez ist ein Künstler, der an der Schnittstelle von Klang und Technologie arbeitet. Ob analoger Synthesizer oder Computerprozesse, er interessiert sich für die Konzepte von Noise sowohl als ästhetischen als auch als konzeptionellen Raum. Seine Referenzpunkte sind die Kybernetik der Informationstheorie, Algorithmen der Computermusik sowie das auditive Wissen der Untergrundszene und ihre Strategien zur Mythenbildung.
Leon-Etienne Kühr ist sowohl als Informatiker als auch als Medienkünstler tätig und verwendet Methoden aus dem Bereich der Informationsvisualisierung und der Datenwissenschaft. Sein Schwerpunkt liegt auf der Erforschung und Visualisierung von Datensätzen und Modellen, die sich durch KI-gesteuerte Automatisierung allmählich in unseren Alltag integrieren. Seine künstlerischen Arbeiten befassen sich mit der Frage, wie unsere aktuelle algorithmische Landschaft möglicherweise eine Zukunft prägen könnte, in der sich der Schwerpunkt von der Mensch-Maschine-Interaktion zu einem Feedback von Maschine zu Maschine verlagert.
www.leon-etienne.de
Ting-Chun Liu ist ein Medienkünstler aus Taiwan, der an der Kunsthochschule für Medien Köln studiert. Er beschäftigt sich mit audiovisuellen Medien, Feedback-Geräuschen, natürlicher Sprachverarbeitung und künstlicher Intelligenz. Er setzt Feedback-Mechanismen für generative Bilder und Klänge ein, um über das kollektive Unbewusste und die unerreichbare "ideale" Perspektive in KI-generierten Bildern zu reflektieren.
https://www.liutingchun.com